• Startseite
  • Aktuelles
  • Geflüchtete Menschen mit Behinderung vor Corona schützen - Infektionsrisiken senken

Geflüchtete Menschen mit Behinderung vor Corona schützen - Infektionsrisiken senken

Ein Appell von Handicap International e.V. an die Ministerpräsident/-innen der Bundesländer 
 
Menschen mit Behinderung droht bei einer Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 in vielen Fällen ein lebensbedrohlicher Krankheitsverlauf. Geflüchtete Menschen mit Behinderung sind aufgrund ihrer Unterbringung in Sammelunterkünften besonders gefährdet, sich zu infizieren. Um ihr Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit bestmöglich zu wahren, müssen Politik und Verwaltung handeln.
 
Wir appellieren an die Ministerpräsident/innen der Länder:
 
  • Um geflüchtete Menschen mit Behinderung und alle weiteren zur „CoronaRisikogruppe“ zählenden geflüchteten Personen zu schützen, müssen diese zusammen mit ihren Angehörigen aus Sammelunterkünften in dezentrale Unterkünfte verlegt werden. 
  • Geflüchteten Menschen mit Behinderung muss in der Corona-Krise uneingeschränkter Zugang zu sozialen und medizinischen Leistungen gewährt werden, um ihnen weitere Unsicherheiten und Belastungen zu ersparen und krisenbedingte Zugangsbarrieren abzubauen.  
  • Während der Corona-Krise dürfen keine Leistungskürzungen erfolgen. Negative Asylbescheide müssen bis zum Sommer ausgesetzt werden.
 
Menschen mit Behinderung gehören in vielen Fällen der Risikogruppe an Bei Menschen mit Behinderung verläuft eine Erkrankung an Covid-19 oft sehr schwer. Viele Behinderungen gehen mit Risikofaktoren wie einer eingeschränkten Herz- und/oder Lungenfunktion, einem schwachen Immunsystem oder Muskelbeschwerden einher. So besitzen zum Beispiel Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, ein vergleichsweise geringes Lungenvolumen. Wer unterhalb der Halswirbelsäule gelähmt ist, kann nur schwer abhusten. Viele Menschen mit Trisomie 21 (Down-Syndrom) sind aufgrund eines schwächeren Immunsystems Infektionen gegenüber weniger widerstandsfähig. Auch chronisch Erkrankte haben in den meisten Fällen ein erhöhtes Risiko für einen gefährlichen Covid-19-Krankheitsverlauf.  In der gegenwärtigen Situation gilt es zudem, die Unterstützungsbedürfnisse von Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung oder einer Lernbehinderung wahrzunehmen. Für sie kann es unter Umständen sehr schwer sein, die relevanten Informationen zum Thema Sars-CoV-2 und die damit einhergehenden Verhaltensregeln zu erfassen. Viele kognitiv beeinträchtigte Menschen sind im Falle einer Covid-19-Erkrankung zudem nicht in der Lage, Krankheitssymptome rechtzeitig zu erkennen und zu kommunizieren. Hier ist eine aufmerksame und sensible Begleitung notwendig. Außerdem müssen infektionsvorbeugende Verhaltensregeln in leichter Sprache, oft in persönlicher Ansprache und in Wiederholung, zugänglich gemacht werden. 
 
Bereits diese Beispiele zeigen: Menschen mit Behinderung sind in der derzeitigen Pandemiesituation besonders exponiert. Sie müssen daher auf bestmögliche Weise darin unterstützt werden, sich vor der Covid-19-Erkrankung zu schützen, die für sie lebensgefährlich verlaufen könnte. Mit Blick auf jene Menschen mit Behinderung, die der Gruppe der Geflüchteten angehören, kommt Deutschland diesem Schutzauftrag derzeit zu wenig nach. Die vielerorts praktizierte Form der Unterbringung in Sammelunterkünften setzt diese vulnerable Personengruppe einem unnötig hohen Infektionsrisiko aus. Geflüchtete Menschen mit Behinderung aus Sammelunterkünften vorbeugend in dezentrale Unterkünfte verlegen Die in der Zuständigkeit der Länder oder Kommunen liegende Unterbringung geflüchteter Menschen in Sammelunterkünften bedeutet für die „Corona-Risikogruppe“ - unter ihnen auch geflüchtete Menschen mit Behinderung - eine besondere Gefährdung. Es ist davon auszugehen, dass im Falle einer SARS-CoV-2-Infektion innerhalb einer Sammelunterkunft in kürzester Zeit zahlreiche Kontaktpersonen ebenfalls infiziert werden. Das Zusammenwohnen auf engstem Raum, das oftmalige Fehlen von Schutzausrüstung und sogar von Desinfektionsmitteln setzt alle Bewohner/-innen, auch die von einem schweren Krankheitsverlauf bedrohten, einem hohen Infektionsrisiko aus. Derzeit praktizierte Maßnahmen, die nach Eintreten einer SARS-CoV-2 Infektion eine Umverteilung Betroffener und der mit ihnen in Kontakt stehenden Bewohner/-innen in andere Sammelunterkünfte zum Ziel haben, greifen zu kurz. Zu groß ist die Gefahr, weitere Kontaktpersonen und somit potenziel Infizierte zu übersehen.  Um die in Sammelunterkünften lebende vulnerable „Corona-Risikogruppe“ vor einer Infektion und einem mit ihr einhergehenden gefährlichen Krankheitsverlauf zu schützen, muss diese vorbeugend in dezentrale Unterkünfte verlegt werden, in denen der notwendige Infektionsschutz sichergestellt werden kann. Dafür kommen zum Beispiel Wohnungen, leerstehende Ferienappartements und Hotels infrage. Mit der Umverteilung muss überprüft werden, inwieweit eine pflegerische, soziale oder medizinische Betreuung notwendig ist. Gelingen kann ein solcher Prozess bei guter Zusammenarbeit von Ländern, Landkreisen und Kommunen, Einrichtungsleitungen, Fach- und Beratungsstellen und den Betroffenen selbst. Bereits jetzt gibt es positive Beispiele für dieses Vorgehen. So hat die Hansestadt Bremen am 24.03.2020 der Corona-Risikogruppe angehörige Bewohner/-innen der dortigen zentralen Landesaufnahmeeinrichtung dezentral untergebracht.i Auch haben die Integrationsbeauftragten von Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen in einer gemeinsamen Erklärung die Notwendigkeit eines solchen Schrittes unterstrichen.ii Zugang zu Informationen und Leistungen für geflüchtete Menschen mit Behinderung sicherstellen – Fristen und negative Asylbescheide aussetzen  Geflüchtete Menschen – ob mit oder ohne Behinderung – brauchen niedrigschwellige, herkunftssprachliche Informationen, besonders wenn sie sich noch im Asylverfahren befinden und ihr Leben von großer Unsicherheit geprägt ist. Viele Organisationen, unter anderem auch Handicap International e.V.iii, haben darauf rasch reagiert, sodass inzwischen viele derartige Materialien vorliegen. Der Zugang zu diesen Informationen muss durch die jeweiligen Kontaktpersonen oder Einrichtungsleitungen ermöglicht werden. 
 
In Bezug auf Behördentermine gilt es, das Risiko einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 für geflüchtete Menschen mit Behinderung zu minimieren. Auch in der gegenwärtigen Ausnahmesituation dürfen den Betroffenen keine Nachteile aufgrund ihrer Behinderung entstehen. Zu bedenken ist hierbei, dass Beratungsstellen derzeit nur telefonisch oder online und somit eingeschränkt unterstützen können. Ausländer- und Sozialbehörden müssen daher alle Fristen, die mit Terminen oder Assistenzbedarf verbundenen sind, aussetzen. Nur so kann verhindert werden, dass sich geflüchtete Menschen mit Behinderung gefährlichen Infektionsrisiken aussetzen bzw. ihnen aus ihrer Behinderung Nachteile erwachsen. Dies betrifft auch aufenthaltsrechtliche Fragen. U.a. aufgrund der Kontaktsperren, der Aussetzung von Asylverfahrensberatung und fehlender Unterstützung bei der Überwindung von Barrieren ist vielen geflüchteten Menschen der Zugang zum Rechtsweg versperrt. Negative Asylbescheide müssen daher ausgesetzt werden. Der Zugang zu geschützter medizinischer Versorgung muss auch während der Corona-Krise sichergestellt sein.  In der momentanen Situation dürfen keine Leistungen gekürzt und keine Sanktionen ausgesprochen werden. Nur so erhalten geflüchtete Menschen in Deutschland die notwendige Handlungsfreiheit, die sie brauchen, um auf die mit Corona verbundenen Herausforderungen reagieren zu können.

Über uns
 
Handicap International (HI) ist eine unabhängige gemeinnützige Organisation. Sie unterstützt weltweit Menschen mit Behinderung und andere besonders schutzbedürftige Menschen, um deren Lebensbedingungen zu verbessern. HI hilft bei Armut und sozialer Ausgrenzung, bei Konflikten und Katastrophen. Die Grundpfeiler ihrer Arbeit sind Menschlichkeit und Inklusion. Auf völkerrechtlicher Ebene kämpft die Organisation gegen die Missachtung der Menschenrechte, den Gebrauch von Landminen und Streubomben sowie Bombenangriffe auf die Zivilbevölkerung. Handicap International e. V. ist Mitglied der internationalen Organisation Humanity & Inclusion (ehem. Handicap International), die die Umsetzung der Programmarbeit verantwortet. HI ist eines der sechs Gründungsmitglieder der Internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen (ICBL), die 1997 den Friedensnobelpreis erhalten hat. Mit dem Projekt „Crossroads | Flucht. Migration. Behinderung.“ setzt sich Handicap International e. V. für den Aufbau bundesweiter Strukturen an der Schnittstelle Flucht Migration und Behinderung ein. Im Rahmen von dessen Arbeit entstand der vorliegende Appell.
 
 
 

cropped unnamed4

** Gefördert als spezifische Maßnahme im Rahmen der KOMM-AN NRW III Projekte durch die Landesregierung NRW; in Kooperation mit der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe e.V.

Kontakt


Die Evangelische Migrations- und Flüchtlingsarbeit Bonn
J. Michael Fischell

Brüdergasse 16-18
53111 Bonn
Tel.: 0228 338 339 41
Fax 0228 96 91 376